Auszüge aus einem Gespräch zwischen Moritz Albert und der Psychoanalytikerin Ingeborg Struck:
“Verstaubte” Bilder

Struck: Das Personal in Ihren Bildern wirkt nicht allzu neuzeitlich oder aktuell. Es interessiert mich, wie ein junger Mensch darauf kommt, solche „verstaubten“ Bilder zu malen. Das ist nicht despektierlich gemeint, ich finde es faszinierend, dass Sie sich auf diese Weise auf vergangene Zeiten beziehen. Was führt dazu?
Albert: Ich glaube, das liegt an der Herangehensweise. Ich arbeite sehr häufig mit alten Familienfotos, und es gibt einige Gründe, warum mich das anspricht. Zum einen ist es der Stil – der Stil der Leute, ihre Haltung, ihre Art, sich zu kleiden und für diese Aufnahmen zurechtzumachen. Zum anderen ist es die Art und Weise, wie sie abgebildet wurden.
Die frühe Porträt-Fotografie

Zu der Zeit war die Fotografie ja noch relativ neu und kam gerade erst in den Alltag hinein. Heute hat jeder ein Fotohandy in der Tasche und alles wird ständig geknipst. Jeder trägt ein Selbstverständnis von seinem eigenen Bild mit sich herum. Das war damals einfach noch nicht gegeben, und dadurch entstand so eine schöne leichte Steifheit. Die Fotografie war noch porträthafter. Keine Alltagsszenen und Schnappschüsse wie heute, sondern immer dieses leicht Gestellte. Niemand war wirklich geübt im Umgang mit der Situation, fotografiert zu werden, denn eine Familie wie die in „Grenzlinien“ ging vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr zu einem professionellen Fotografen. Dann wurde sie da in irgendein Setting gesetzt und einmal abgelichtet. Die Belichtungszeiten dauerten ewig lang, man durfte sich also nicht bewegen und konnte kaum ein Lächeln halten, deswegen gucken auch alle so ernst und seltsam.

Man zog sich natürlich auch die Sonntagskleidung an, machte sich zurecht und hatte sich vorher genau überlegt, wie man sich positionieren soll, wie man sich zueinander stellen soll und wie man sich hält. Da diese Leute aber alle ungeübt darin waren, funktionierte es meistens nicht.
Überforderte Modelle

Genau das ist für mich so interessant an dieser Sorte von Porträt – dass es in der Art, wie ich damit weiter umgehe, auf eine gewisse Weise immer nur scheitern kann. Das Personal, die Modelle, wenn man so will, ist relativ unerfahren und ein bisschen von der Situation überfordert. Und ich sehe mir diese Modelle mitunter über einhundert Jahre später an und versuche, etwas Eigenes daraus zu machen. Etwas, was als reines Porträt nicht funktionieren kann. Als Bild funktioniert es, aber es ist kein klassisches Porträt. Es wäre vermessen, zu behaupten, ich könnte die Figur, die ich darstelle, begreifen oder zu ihr durchdringen, das Innere nach außen kehren. Ich habe doch gar keinen Zugang mehr zu diesen Menschen. Ich hole sie mir eher als Personal meiner Bilder zurück und gehe damit auch sehr frei um. Und ich mag es sehr, wenn das Bild gerade so am Porträt vorbeischrammt und niemals wirklich eines sein kann.
Struck: Und das ist das Scheitern?
Albert: Je nach Betrachtungsweise. Ja, wenn man das Bild als Porträtarbeit auffasst, was häufig passiert. Viele der Bilder haben ja auch eine Art der Komposition, die das vermuten lässt. Nicht so sehr die offensichtlich narrativen Bilder wie „handarbeitet“ oder „pfadfindet“. Die erzählen auf Anhieb etwas oder wirken theatralischer. Da scheint erst einmal mehr zu passieren, und dazu lassen sich leichter Fragen stellen. Allerdings bleibt bei einem Bild wie „mit dem Lasso geholt“, auf dem der Junge in einer klassischen Porträt-Kadrierung dasteht, ja auch vieles offen und lässt Raum für Spekulation. Aber so etwas wird häufig als Porträtarbeit wahrgenommen. Ich selbst sehe das nicht so.

Vom Foto über die schnelle Zeichnung zur Bildkomposition
Struck: Sie arbeiten also immer mit der direkten Fotovorlage?
Albert: Nein, überhaupt nicht. Ich gehe über die Zeichnung und abstrahiere erst einmal sehr stark. Die Fotovorlage kann sehr klein sein, sodass man manchmal nur bedingt etwas erkennen kann. Zuerst mache ich ein paar Zeichnungen. Die werden relativ schnell hingeworfen und können auch mal ziemlich rotzig aussehen. Und bisweilen wird es dann eben einfach eine Papierarbeit. In diesen Zeichnungen merke ich immer, was mir an der Person liegt, was mir wichtig ist. Das kommt dann auf die große Leinwand und wird da weiter ausgearbeitet. Aber die Fotoreferenz verschwindet recht schnell. Zum einen erkennt man auf den zum Teil kaputten Fotos mittlerweile sowieso nicht mehr viel. Und man verkrampft, wenn man versucht, einem Foto hinterherzumalen. Deswegen kommt das ziemlich schnell weg.

Zwischendurch wird es mal wieder hervorgeholt, wenn ich vergessen habe, woher das Licht kam oder irgendein Detail noch einmal sehen muss. Aber als wirkliche Referenz hat es schnell ausgedient, damit sich da etwas verselbstständigen kann. Wenn sich die Figuren aus sich selbst heraus entwickeln, werden sie für mich noch mal interessanter. Ich collagiere sie sozusagen auch, nehme von der einen Person den Blick, von der anderen die Haltung und stelle ein paar Personen aus unterschiedlichen Fotos zusammen. Das Foto wird auf der Leinwand nie so reproduziert, wie es ist. Da wird immer etwas neu zusammengesetzt und ein neuer Kontext erschaffen.
Historisch wichtige Momentaufnahme
Immer wieder male ich auch nach Modell. Einfach, weil ich Angst habe, mich zu sehr in diese eine Sparte zu manövrieren. Das ist fast schon der einzige Grund. Natürlich kann ich dem Modell genau vorgeben, was ich haben möchte, wenn ich eine Geschichte bewusster erzählen möchte. Aber das interessiert mich meistens gar nicht. Da ich zeichnerisch sehr frei damit umgehen kann, kann ich mir ja auch aus den Fotos so ziemlich alles herausholen, was ich brauche. Vieles an meiner Arbeit ist der Versuch, den Fotos und dem Aufbewahren eine Rechtfertigung zu geben. Da wurde etwas fotografiert und wertgeschätzt, war eine irgendwie wichtige Momentaufnahme. Und ich versuche, sie jetzt noch etwas länger am Leben zu halten. Außerdem braucht man als Maler ja auch sein Personal, wenn man figurativ arbeitet. Und ich mag diesen persönlichen Bezug.
Struck: Die Art und Weise, wie Sie vorgehen, finde ich richtig gut – in meinem fachfremden Verständnis.
Albert: Danke. Und wieso fachfremd? Ich wollte ja bewusst keinen klassischen Kunsthistoriker für dieses Gespräch, um mal eine andere Perspektive zu haben. Außerdem werde ich immer wieder – wenn auch sehr vorsichtig und durch die Blume – gefragt, ob mit mir denn alles in Ordnung ist. So, wie ich male … Und ob mit den Leuten in den Bildern alles in Ordnung ist. Deswegen dachte ich: Vielleicht müssen die Bilder mal in Therapie. Meine Therapie ist es, so zu malen. Aber vielleicht sollte mal jemand über die Bilder schauen, der sich damit auskennt …
KONTAKT:

Webseite: www.moritz-albert.de
Email: ich@moritz-albert.de
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Sehr schöne und interessante Bilder mit Wiedererkennungswert.
Es ist wie als würden alte Fotografien zum Leben erweckt oder ein Eigenleben führen in einer Art Paralleluniversum.
Gruß
Simone