ENGLISH TEXT BELOW: ULRIKE SPANG – MY FREE SPACE
Gastbeitrag von Ulrike Spang: Mein Freiraum
Die Sache mit dem weißen Blatt
Sitzt man vor einem weißen und makellosen Blatt Papier, dann hat man unendlich viele und wunderbare Möglichkeiten, ein Bild daraus zu machen. Eigentlich.
Doch plötzlich weiß ich nicht mehr: Wie und wo soll ich mit meinem Bild anfangen?
Jeder Strich, jeder Farbfleck, den ich auf diesen neuen und unberührten Papierbogen machen würde – ich habe das Gefühl, die Makellosigkeit des Papiers zu zerstören.
Vielleicht kennst du es auch: Die Unendlichkeit des leeren Blatts lässt bei mir manchmal alle Ideen verfliegen… Und da, wo gerade noch Elan und Kreativität war, da ist jetzt dumpfe Leere im Kopf.
Art-Journal: Spielwiese für Farben und Materialien

Doch mittlerweile weiß ich, was ich tun kann, wenn mit der Angst vor dem weißen Blatt die dumpfe Leere auftaucht: Ich gehe in meinen Freiraum, gehe auf meine Spielwiese.
Meine Spielwiese: Das sind verschiedene Bücher und Hefte, in die ich zeichnen, malen, schreiben oder kleben kann. Was mir gefällt und wie es mir einfällt. Kritzelbuch, Art-Journal, du kannst es nennen, wie du möchtest. Ich nenne es „Freiraum“.
Dort gibt es keine Limits und keine Kritik. Dort darf alles entstehen. Neue Stifte oder ungewöhnliche Malmaterialien kann ich dort ausprobieren. Schöne Bilder, die mir in der Zeitung oder einer Zeitschrift begegnen, kann ich dort einkleben. Oder Fundstücke von der Straße: einen bunten Papierfetzen, einen liegengelassenen Einkaufzettel, ein knalliges Bonbonpapier. Eine Postkarte, die ich von einem lieben Menschen bekommen habe. Selbstgeschriebene Gedanken und Geschichten neben Zeichnungen und Skizzen.
In meinem Freiraum gibt es Platz für all das – gleichzeitig gibt es keine Regeln.
So entstehen meine Kritzelbücher

Meistens nehme ich für diese Bücher keine neuen Notiz- oder Skizzenbücher mit weißen, leeren Blättern aus dem Laden – so schön die auch in den Regalen aussehen.
Als Grundlage sind mir am liebsten Bücher, die selbst Fundstücke sind: Ein Stadtführer aus einem Züricher Hotelzimmer, ein dickes Theaterprogrammheft oder kleine Heftchen, die einer Zeitschrift beigelegt waren. Dass die Seiten dieser Bücher und Hefte bereits mit Text und Bildern bedruckt sind, ist mir gerade recht: da sind keine weißen unberührten Seiten!
Ich beziehe Teile der bereits vorhandenen Bilder oder Schrift mit in meine Seitengestaltung ein. Ich übermale andere Teile mit Acrylfarben oder überklebe Passagen mit Papier. Zeichne entweder direkt ins Buch oder klebe kleinen Skizzen hinein, die ich irgendwo auf irgendwelchen Papierfetzen, die gerade da waren, gemacht habe.
All das bekommt in den Büchern eine Heimat und wird zu einer Art Collage verarbeitet.
Und wenn das Buch durch die vielen eingeklebten Papiere zu dick wird, reiße ich einfach von den noch nicht bearbeiteten Seiten all diejenigen raus, die ich am wenigsten schön finde. Dann gleicht es sich wieder aus.
Das eigene Art-Journal als Inspirationsquelle

Sobald ich also vor dem weißen Blatt sitze und nicht weiß, wie ich anfangen soll, hole ich meine Bücher aus dem Regal. Wenn ich dann anfange darin zu blättern und zu stöbern und so eine Weile in meinem Freiraum spazieren gehe, dann kommt die Inspiration angeflogen wie ein Schmetterling im Frühling.
Und es scheint mir, die bunten Seiten in den Büchern erzeugen neue Ideen, die sie wie Samen ausstreuen. Aus diesen Samen wachsen neue Bilder, die ich dann auch auf die weißen makellosen Papierbögen zeichnen oder malen kann.
Entdecke mehr von Ulrike Spang
>>auf ihrer Webseite: https://ulrikespang.com
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Guest blogger: ULRIKE SPANG – MY FREE SPACE
Blank Sheets Of Paper
When there’s a white and flawless sheet of paper in front of you, there are endless and wonderful possibilities to turn the paper into an artwork. Well, actually.
Suddenly, though, I don’t know anymore: how and where to start?
Every line, every color blot I am intending to make on this new and untouched paper – it feels as if I would destroy its flawlessnes.
Maybe you know what I am talking about: sometimes, the infinity of the empty paper causes all ideas to disappear… Yest and creativity are suddenly gone and inner emptiness has taken over my brain.
Art Journal: Playground For Colors And Materialis

In the meantime, however, I have learnt how to cope with the situation when emptiness threatens to stop me: I enter my free space, I step on my playground.
My playground: I have different notebooks and sketchbooks into which I can draw, write, or glue whatever I want and however I came across that idea. Scribbling book, art journal, you may call it whatever you please. I call it “free space”.
There are not limits and no critique. Everything is allowed. I can also test new pens or other materials in the books. I can glue nice images into them that I find in newspapers or magazines. Or found objects from the street: a colored scrap of paper, a lost shopping list, a candy wrapper. A postcard from a dear friend. My own thoughts and stories next to drawings and sketches.
In my free space, there’s room for all this – at the same time, there are no rules.
This Is How I create My Scribbling Books

In most cases, I don’t use new & empty notebooks or sketchbooks from the store – even if they look so nice and clean in the shelves.
I prefer to use books that are found objects themselves: a city guide from a hotel in Zurich, a thick program booklet with theater shows, or tiny booklets that formerly served as supplements in magazines. I really like it that the book pages are covered with texts and images already: there are no white and untouched pages!
Some of the already printed texts or images become part of my own design. Other parts, I cover with acrylic colors or I add little sketches that I created on other paper scraps before – due to the lack of better paper in that moment.
All this, is converted into an art collage and the books serve as their home.
In case a book becomes too thick due to all those added items, I just tear out the pages that I haven’t been working on yet and that I don’t like so much anyway. So the issue is easily solved.
My Own Art Journal As Source Of Inspiration

Whenever I sit there in front of a white sheep of paper and don’t know how to start, I just get my books from the shelf. I start turning the pages and go for a walk in my free space so to say. Not long after that, my inspiration returns like a butterfly in spring.
And it seems as if the colored book pages create new ideas just like seeds create life. These seeds turn into new images, which I then draw or paint on white and flawless paper.
Find out more about Ulrike Spang
>>on her website: https://ulrikespang.com
(translation by: Seona Sommer)
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Liebe Ulrike,
„Mein Freiraum“ ist ein Thema, das jeden*e Künstler*in stets am Anfang im Schaffensprozess eines Werkes mit Zweifel an der eigenen Kreativität beschäftigt.
Das empfinden alle Künstler*innen, ob Maler*in, Zeichner*in, Bildhauer*in, Fotograf*in, Komponist*in und Schriftsteller*in gleichsam vor dem „Weißen Blatt“, hier als Synonym für die Leere am Beginn einer kreativen Arbeit.
In Deinem Gastbeitrag beschreibst Du mit treffenden Worten die oft iritierenden Selbstzweifel hinsichtlich des Anspruchs an die eigene Kreativität am Beginn einer Arbeit.
Ich befasse mich nun schon seit fast 51 Jahren mit der bildgebende Kunst der Fotografie. Und lange stand ich am Anfang eines jeden Fotoprojektes vor den gleichen Fragen des „Wie?“ und „Was?“ zweifelnd vor der Szene. So habe ich mir dann im Laufe der Zeit ein Konzept geschaffen, das Du mit Deinen Heften und Büchern als „Spielwiese“ beschreibst, und ich in meiner Arbeit die geduldige und kritiklose Speicherkarte in meiner Kamera als „Konzeptionsspielraum“ bezeichne.
Von mir wurde in früheren Jahren das erste Ablichten, vergleichbar mit Deinen ersten Farbaufträgen auf die Leinwand, einer beispielhaft schönen Motivszene bei den ersten Bildergebnissen, die nicht meiner Vorstellung entsprachen, als vermeintliche Zerstörung des schönen „Unberührten“, des vollkommenen Motivs empfunden.
Aus dieser Erfahrung in den früheren Jahren meiner meist analogen Fotografie habe ich eine neue Sichtweise der Dinge mit der Einführung der digitalen Fotografie für mich entdeckt:
Ich fotografiere zunächst einfach im „Konzept“, mit dem Bewusstsein der „Unvollkommenheit“ der ersten Bilder. Das befreit zunächst von einem Leistungsdruck, da hier ja „nur“ für ein Konzept, also im „Unreinen“ fotografiert wird. Dabei habe ich die Erfahrung gewonnen, dass meine ersten Aufnahmen nur dem „Einschießen“ zum fotografischen Thema dienen. Bei diesem „vorbereitenden Fotografieren“ nehme ich beim Betrachten der ersten Ergebnisse wahr, wie ich mich schrittweise an das mir vorgestellte Ergebnis der fotografischen Arbeit herantaste. Dabei spüre ich in mir eine wachsende, treibende Kraft, aus dem Motiv noch ganz andere Sichtweisen zu gewinnen. Es entwickeln sich neue Bildideen, die vor Beginn
meiner Arbeit noch nicht in meiner Vorstellung existierten.
Diese Arbeitsweise gilt natürlich ausschließlich nur für statische Motive, die den Großteil meiner Fotografie ausmachen. Die Action-Fotografie ist nicht so meine Sache! Ich bevorzuge Stillleben, Porträt-, Tabletop-, Natur- und Landschaftsfotografie.
Dein Artikel ist ein Gastbeitrag hier im SommerKunstBlog, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Diesen Artikel wird sicher noch eine Großzahl an Künstler*innen interessieren.
Liebe Grüße
Hans-Joachim
Ich fotografiere