60 | Marta Reiter: Auszüge aus meinem Leben // Bildbetrachtung Werk Nr. 0216

ENGLISH TEXT BELOW: MARTA REITER – EXTRACTS FROM MY LIFE… // CLOSER LOOK AT WORK #0216

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© Marta Reiter

Es war der 10. Februar 1967, ein beißend kalter Wintertag in der damaligen Sowjetunion, an dem ich das Licht der Welt in Kiseliv, einem kleinen Dorf in der Ukraine, einem der 15 Staaten der Sowjetunion, erblickte. Ich wurde in ein Leben, das geprägt war von Armut und schwerer, harter Arbeit in der Kolchose auf den Feldern und in den Viehstallungen hineingeboren. Ich wuchs mit drei Geschwistern, zwei Brüdern und einer Schwester, auf.

In diesem kleinen Dorf, in dem es keine richtigen Straßen und Wege gab, ging ich zur Schule. Man nannte uns Erstklässler die „Enkel Lenins“. Ab der 3. Klasse gehörte ich zu den „Pionieren“ und trug ein rotes Tuch um den Hals. Dann ab der 7. Klasse kam ich zur Komsomol, was die Vorbereitung auf den Eintritt in die Partei „KPdSU“ bedeutete, und musste monatlich 2 Kopeken Beitrag leisten. Dieser Partei bin ich jedoch nie beigetreten, was mir in späteren Jahren, zumal ich als Lehrerin im Staatsdienst beschäftigt war, oft zur Last gelegt wurde.

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© Marta Reiter

Wir jungen Menschen lernten in der Schule schon eine Kalaschnikow zu zerlegen, zu reinigen und wieder zusammenzubauen. Auch lernten wir im Stechschritt der Roten Armee für Paraden an hohen politischen Feiertagen zu marschieren.

Schon sehr früh musste ich neben der Schule lernen, einen Haushalt zu führen und meine zwei jüngeren Geschwister zu versorgen. Meine Mutter arbeitete in einer Ziegelfabrik auf der Kolchose und trug die Post aus.

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© Marta Reiter

Später, ich war schon sehr jung verheiratet, besuchte ich in Czernowitz die Universität. Ich studierte für das Lehramt mit Schwerpunkt Pädagogik und wurde nach dem Examen Grundschullehrerin im Nachbardorf von Kiseliv. Ich hatte mit meinem ersten Mann drei Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen. Mein Tag begann um 4:00 Uhr mit der Versorgung unserer Tiere (zwei Kühe, vier Schweine, viele Hasen, Gänse und Hühner). Dann machte ich für die Familie das Frühstück, machte meinen Haushalt und ging anschließend zur Schule und unterrichtete bis Mittag. Am Nachmittag arbeitet ich auf den Feldern der Kolchose. Wieder zuhause, korrigierte ich Schulhefte und beschäftigte mich danach mit meinen Kindern. Am späten Abend, nachdem ich die Tiere versorgt hatte, fand ich Ruhe und ging zu Bett.

Das Leben in der Sowjetunion war bestimmt von Unfreiheit und Gewalt. Wir durften unsere ukrainische Kultur und Sprache nicht leben bzw. sprechen. In der Sowjetunion wurde alles von Russland bestimmt. Die ukrainische Sprache in Wort und Schrift lernte ich im Geheimen von meiner Mutter. Religiöse Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten waren strengstens untersagt! Mein erster Mann starb schon in jungen Jahren.

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© Marta Reiter

Im Jahr 2003 lernte ich meinen heutigen Mann, einen Deutschen, kennen. Wir verbrachten eine sehr schöne gemeinsame Zeit. Jedoch kam bald der Abschied, da mein Visum ablief und ich in die Ukraine zurückmusste. Uns wurde aber zuvor beim Ausländeramt Köln eine Einladung mit einer Verpflichtungserklärung genehmigt, denn wir wollten in Köln heiraten.

In der Deutschen Botschaft in Kiew beantragte ich das Visum. Nach zwei Wochen bestellte man mich dort ein, um mir mitzuteilen, dass das Visum für die Heirat in Deutschland abgelehnt ist. Und das, obwohl die Ausländerbehörde in Köln einer Einladung zustimmte und das Original vorlag. Keine Begründung wurde genannt! Wie ich später erfuhr, war die Botschaft nicht dazu verpflichtet.

Eine Zugfahrt von meinem Wohnort nach Kiew dauert ca. 17 Stunden, und für dieses Ergebnis musste ich diese Strecke für Hin-und Rückfahrt viermal zurücklegen. Verzweifelt in meiner tiefen Traurigkeit über dieses Unglück, dachte ich, unsere gemeinsame Zukunft in Deutschland bleibt ein unerfüllter Traum. Aber dann wendete sich das Blatt zum Guten. Mein zukünftiger Mann kam zu mir und meiner Familie in die Ukraine und lebte ein Jahr bei uns. Solange dauerten die Formalitäten, bis ich als seine Frau mit ihm nach Deutschland zurückkehren konnte. Im Dezember 2004 heirateten wir auf dem Standesamt in Czernowitz und im Januar 2005 ukrainisch-orthodox in der kleinen Dorfkirche von Kiseliv.

Im Juni 2005 fuhr ich mit meinem Mann nach Deutschland, nach Köln-Neubrück, wo er schon seit 33 Jahren lebte. Ich besuchte an der Volkshochschule in Köln-Mülheim einen Integrationskursus, lernte Deutsch und etwas über die Geschichte und Staatsbürgerkunde von Deutschland. Den Abschluss machte ich mit der Note „Sehr gut“! Jedoch hatte ich schon einen kleinen Vorsprung, da mir mein Mann in dem Jahr seines Aufenthaltes in der Ukraine etwas Deutsch im Sprachgebrauch und in der Grammatik beigebracht hatte.

Nun lebe ich schon 12 Jahre in Köln und fühle mich sehr wohl in Deutschland. Köln ist eine wundervolle Stadt, die sehr viel zu bieten hat, und ich finde hier auch schnell Zugang zu den Menschen.

Wir beschäftigen uns mit einem sehr schönen, kreativen Hobby. Mein Mann fotografiert, und ich lerne unter Anleitung professioneller Künstler in der „Kölner Malschule“ seit knapp einem Jahr das Zeichnen. Meine Vorliebe gilt dem Zeichnen von Porträts in Bleistift! Seit zwei Jahren stelle ich mit ihm gemeinsam in einem Schaufenster der „Stadtteilbücherei Neubrück“ im Rahmen des „Neubrücker Kunstsommer“ unsere Arbeiten aus.

Über meinen Mann, der als Fotograf (Autodidakt) Teilnehmer an den „Brücker Kunsttagen“ ist, lernte ich Frau Seona Sommer kennen. Sie ist Künstlerin (Malen u. Zeichnen) und Kuratorin der „Brücker Kunsttage“. Ihre Vorliebe ist das Zeichnen und Malen von Porträts im Stil des „Hyperrealismus“. Sie arbeitet u.a. an einem „Internationalen Facebook Kunstprojekt“, in dem sie ihre Porträtarbeiten im Internet vorstellt.

Nach ihrer Anfrage, ein Porträt von mir in Öl auf Leinwand malen zu dürfen, der ich sogleich zustimmte, entstand dieses Porträt. Als Referenzbild nutzte sie die Vorlage einer Porträtfotografie, die mein Mann in einer Serie von mir machte.

 

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© Seona Sommer, Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2017

Es war für mich ein erhebendes Gefühl, von solch einer großartigen Künstlerin gemalt zu werden. Eine leichte Anspannung über die Vorstellung, wie ich wohl in Öl auf Leinwand wirken werde, spürte ich.

Ihre Werke kenne ich von Ausstellungen und Veröffentlichungen und bewundere ihre Arbeiten. Ich sehe in ihr mein Vorbild in der Kunst des Porträtzeichnens.

Dann kam der Tag, an dem Seona mir das fertige Porträt zeigte. Ich war fasziniert vom Anblick dieses Gemäldes! Weiche, fließende, jedoch realistisch dargestellte Konturen meines Gesichtes und ein natürlicher Farbausdruck zeigten sich im Bild. Meine Tochter aus der Ukraine war zu dieser Zeit zu Besuch und war bei mir, als Seona uns das Bild zeigte. Auch sie war begeistert, wie Mama sich auf Leinwand im Porträt zeigte.

Das Gemälde werde ich in einem Fachgeschäft rahmen lassen und meinen Kindern in der Ukraine zum Geschenk machen.

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Marta wurde in der Ukraine geboren und lebt heute in Köln.

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MARTA REITER – EXTRACTS FROM MY LIFE… // CLOSER LOOK AT WORK #0216

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© Marta Reiter

On 10 February 1967, a biting cold winter day in the former Soviet Union, I decided to make my first appearance into this world in Kiseliv. This is a small village in Ukraine, and it belonged to the 15 states of the Soviet Union then. I was born into a life charaterized by poverty and hard & heavy farm work in the kolkhoze (editor’s note: collective farm) in the fields and with the cattle. I grew up with three siblings, two brothers and one sister.

In this little village, where there were no real roads or paths, I went to school. As first graders we were called “Lenin’s grandchildren”. From 3rd grade, I was a member of the “Pioneers” and had to wear a red scarf around my neck. Then from 7th grade, I joined the Komsomol (editor’s note = political youth organization), which was supposed to be a preparation for membership with the party “KPdSU” (editor’s note: = Communist Party of the Soviet Union). I had to pay 2 Kopekes (editor’s note: currency) on a monthly basis. However, I never joined the KPdSU, which was often held against me in later years – especially as I made a teaching career in the civil service.

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© Marta Reiter

As young people, we were taught at school already how to disassemble and reassemble a Kalashnikov rifle. We also learnt how to goose-step for parades like the Red Army on special political holidays.

From a very early age, I had to do independent housekeeping and take care of my two younger siblings – before and after school. My mother was working in a brickyard on the kolkhoze and she delivered mail.

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© Marta Reiter

I also married at a very early age and later went to university in Czernowitz. I wanted to become a teacher and majored in education. After graduating, I started teaching at a primary school in a neighboring village of Kiseliv. My first husband and I had three children, two girls and a boy. My daily routine started at 4 am with caring for our animals, two cows, four pigs, several rabbits, goose, and chicken). Then I made breakfast for the family, took care of the house, and then went to work, where my teaching days usually lasted until noon. Back home, I corrected the schoolchildrens’ exercise books and then took care of my own children. Late at night, after taking care of the animals again, I found some rest and went to bed.

Life in the Soviet Union was determined by lack of freedom and violence. We were neither allowed to live our Ukranian culture nor speak our language. Russia ruled over the entire Soviet Union. I secretly learnt how to speak and write the Ukrainian language from my mom. Religious holidays like Christmas, Easter, and Pentecost were strictly forbidden, too! My first husband already died quite young.

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© Marta Reiter

In 2003, I met my current husband, who is German. We spent a really beautiful time together. We had to say goodbye to each other again, though, as my visa was going to expire and I had to return to Ukraine. Before my departure, the immigration office approved an invitation with a declaration of commitment as we planned to get married in Cologne.

So I applied for another visa at the embassy in Kiev. After two weeks, I was summoned and told that the visa for a marriage in Germany had been declined – even though the immigration office in Cologne had approved before. I was not given any explanation! Later, I heard that the embassy had no obligation to give a statement.

A train ride from where I was living to Kiev lasted approximately 17 hours. So for this negative result, I had to make the trip twice there and back. I felt desolate and deeply sad. My future with my prospective husband in Germany seemed to remain an unfulfilled dream. But things turned out positive as my prospective husband came to live with me and my family in Ukraine for an entire year. This is how long it took until I became his wife and was finally able to go back to Germany with him. In 2004, we had a civil wedding in Czernowitz and, in January 2005, a Ukrainian Orthodox church wedding in the village of  Kiseliv.

In June 2005, my husband and I moved to his home of 33 years in Cologne-Neubrück. I attended a German language class in Köln-Mülheim, and was also taught German history and civics. My exam was graded “very good”! It was a great advantage that my husband had aleady helped me with German grammar during the year he was with me in Ukraine.

I have now been in Cologne for 12 years and I really like Germany. Cologne is an amazing city and has a lot to offer. I also find it easy to connect with the people here.

My husband and I both have really nice and creative hobbies. My husband is a photographer and I am studying drawing at “Kölner Malschule” with professional artists. I really like drawing pencil portraits! For the past two years, my husband and I have also been exhibiting together our art in a library window during the „Neubrücker Kunstsommer“.

My husband is self-taught and he has also exhibited at the „Brücker Kunsttage“. This is how I met Seona Sommer, who is the project manager there. She specializes in drawing and painting hyperrealistic portraits. Her International Facebook Art Project features portraits of her Facebook friends.

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© Seona Sommer, oil on canvas, 50 x 70 cm, 2017

She wished to paint me in oil on canvas and I immediately agreed. As a reference photo, she used a portrait from a series that my husband had photographed.

It was an exhilarating feeling to be painted by this great artist. I was a bit nervous at first and wondered how the portrait of me in oil would come out.

I have seen Seona’s works  on the internet and in exhibitions and I admire them. She is my role model with regard to portrait drawing.

Eventually, the day came when Seona showed me the finished portrait. I was fascinated on first sight! Smooth and fluent transitions, with realistic outlines of my face, and a natural coloring. My daughter from Ukraine was visiting me at that time. She was thrilled, too, about how mom’s portrait looked like on canvas.

I will have the painting framed professionally and then give it to my children in Ukraine as a present.

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Marta was born in Ukraine and lives in Cologne/Germany today.

 

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