23 | Warum eigentlich Porträts?

ENGLISH TEXT BELOW: WHY PORTRAITS?

Immer wieder höre ich, dass Porträts die “Königsdisziplin” in der Malerei sind. Das ehrt sie zwar und mich theoretisch vielleicht auch, aber anfangen kann ich mit der Aussage persönlich nichts. Für mich ist es einfach so, dass das Porträt das einzige Genre ist, das mich so sehr begeistert, dass ich Jahre intensiver Arbeit, inklusiver vieler Rückschläge, und viel Geld darin investiert habe, es zu erlernen. Es hat mich einfach keine Sekunde losgelassen. Es gibt durchaus weitere Genres, die mich interessieren, aber entweder “flutschen” sie alle paar Jahre mal einfach so auf die Leinwand (das geht mir so bei den City Scapes von San Francisco) oder sie schaffen es gar nie auf meine Leinwand (hier denke ich an [hyper-]realistische Stillleben) – in jedem Fall aber erscheint mir die Mühe, die diese Motive mir bereiten würden, um sie professionell zu bearbeiten, irgendwie unüberwindlich. Ungefähr so wie der Kilimandscharo, den ich in meinen Fantasien schon 1000 mal bestiegen habe, aber de facto mich physisch und psychisch nicht dazu in der Lage fühle. Die Porträtmalerei hingegen ist eben in keinster Weise “Arbeit”, sondern pure Leidenschaft. So gesehen sind für mich zum Beispiel Landschaftsbilder und sogar Abstraktes wesentlich schwieriger als Porträts. Was aber macht Porträts so besonders?

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© Seona Sommer

1 Da ist zunächst mal die Faszination für den Menschen an sich. Ich kann zum Beispiel in der Straßenbahn sitzen und den Menschen, der mir gegenüber sitzt, mit voller Begeisterung beobachten. Das ist manchmal ein bisschen schwierig, denn natürlich möchte niemand gerne von einer Fremden angestarrt werden. Aber das geht auch ganz unaufdringlich. Es geht mir sicherlich auch weniger ums unhöfliche Anstarren als vielmehr um den stillen Respekt der oder dem Einzelnen in ihrer oder seiner Einzigart gegenüber: Ist sie oder er alt oder jung, groß oder klein, gestresst oder entspannt, traurig oder glücklich,…. Aber das ist nur der Anfang: Dann beginne ich mir eine Geschichte auszudenken, wie dieser Mensch wohl lebt, was ihn liebenswert macht, welche Schwierigkeiten er hat, welche Arbeit, ob er Kinder oder Eltern oder eine_n Partner_in hat, ob er reist, welche Hobbys er hat, ob er arm ist oder reich, religiös, im richtigen oder falschen Körper geboren, sportlich, krank, heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, ausgewandert, bodenständig, liberal, ängstlich, vom Leben gezeichnet, wovon er lebt – eigenes Geschäft, Sozialhilfe, Lottogewinn -, welche Musik er hört, ob er Haustiere hat, ob er mit sich und der Welt zufrieden ist oder sich im Klinsch befindet etc. etc. etc. – kurz, wie es sich lebt als dieser eine Mensch, wie es sich anfühlt, dieser eine Mensch zu sein, unter Millionen anderen. Das alles ist natürlich pure Spekulation! Aber es erlaubt mir das gedankliche Schlüpfen in unendlich viele Rollen.

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© Seona Sommer

2 Jeder Mensch ist so einzigartig und wertvoll, jeder Mensch ist im Grunde ein absolutes Wunder der Natur oder auch des Kosmos. Ich möchte daher einerseits den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt rücken, ihm eine Bühne geben. Dieser Mensch soll möglichst “ganz normal” sein, im Sinne von einfach, kein Star oder Sternchen und meist auch weit entfernt davon, jemals einer zu werden. Und wenn doch, dann rückt das für mich definitiv in den Hintergrund. Auch bin ich nicht explizit auf der Suche nach Modellen, die mich von der Leinwand anlächeln. Ich mag es authentisch, dazu gehören auch verschiedene Emotionen oder Menschen mit Lebensläufen, wie es auch dich oder mich treffen könnte. Mich interessieren Menschen, die jedermanns Nachbar oder jederfraus Nachbarin sein könnte. Dabei geht es aber nicht nur um meinen möglichen Nachbarn in Köln-Brück, sondern auch um deinen in Köln-Kalk, und deinen in Bielefeld, Budapest, Singapur, San Francisco, Acapulco… Eben überall dort, wo es Menschen gibt.

3 Hier kommt auch das Verbindene ins Spiel. Wenn ich den einzelnen Menschen betrachte, entdecke und empfinde ich dennoch IMMER so viel Gemeinsames! Ich lerne den Menschen auf meiner Leinwand nicht nur in meiner ganz eigenen Art kennen, sondern fühle mich ihm beim Malen sehr nahe. Ich lasse mich auf die Begegnung ein und erfahre ein Miteinander. Wir werden für diesen Augenblick Freunde oder Freundinnen – egal, ob ich das Modell nun eigentlich im realen Leben kenne oder nicht.

4 Dann ist da die Faszination für das Lebendige. Auch wenn sich das Modell auf dem Referenzfoto natürlich nicht mehr bewegt, so ist doch klar, dass jeder einzelne Muskel dazu beigetragen hat, genau dieses eine Standbild zu erzeugen. Hinzu kommt das Licht, das jede einzelne Pore in besonderer Weise ausleuchtet und jeder Hautfarbe ihren eigenen Teint verleiht. Die Bewältigung der unterschiedlichen Strukturen der Haut, des Auges, des Haars und oft auch noch der Kleidung oder des Schmucks sind ein enorme Herausforderung für mich.

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© Seona Sommer

5 Die größte Herausforderung für mich ist allerdings, das Wesen eines Menschen herauszuarbeiten und in einem bestmöglichen Licht darzustellen – und die Liebenswürdigkeit und Würde der Person hervorzuheben. Egal, welche Eigen- und Besonderheiten den einzelnen Menschen in einer bestimmten Situation auszeichnen, ich möchte ihn so darstellen, dass wir ihm freundlich, verständnisvoll und wohlwollend begegnen. Für mich ist dies das Wichtigste. Ich käme nicht auf die Idee, ein Modell absichtlich so zu malen, dass man beim Betrachten eine Abneigung empfinden könnte. Hier stoße ich aber auch immer mal wieder an meine Grenzen. Denn es ist mir durchaus schon passiert, dass genau das eintrat: Entweder wirkte das Gesicht zu düster oder zu traurig, so dass eine_e Betrachter_in es sich nicht anschauen mochte; oder Modelle waren mit ihrem eigenen Porträt nicht zufrieden und fanden sich unvorteilhaft dargestellt. So stelle ich immer wieder fest, dass die Porträtmalerei auch eine sehr sensible Angelegenheit ist. Für mich Grund und Motivation genug, es noch besser zu machen!

6 Bei all dem vorher Gesagten spielt auch meine Faszination für den Hyperrealismus eine große Rolle, dem ich mich in mehr oder weniger großen und kleinen Schritten immer weiter annähere. Der Reiz hierbei ist erneut mein Hauptanliegen, dass die  Liebenswürdigkeit eines Menschen in der ehrlichen und unverfälschten Darstellung keinen Widerspruch erfährt!

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WHY PORTRAITS?

I keep hearing that portraits are supposedly the supreme discipline of the arts. Well, that gives them a lot of credit and maybe also honors me as the portrait artist. But actually I don’t understand what that means. To me portraits are simply the only genre that fascinates me  so much that I have been investing years of hard work, including many backlashes, and money in order to master it. I simply couldn’t let go of it anymore. There are other genres that interest me. However, they either “just happen” every little once in a while (like my San Francisco city scapes), or they absolutley never happen (like [hyper-]realistic still lifes). In any case, the effort that it would take me to master them decently seems somehow insurmountable in my imagination. Just like my life long dream of climbing the Kilimandscharo, but which I under any circumstances I physically and mentally don’t feel capable of. Portrait painting or drawing, however, is not “work” for me but pure passion. So I find landscapes or even abstract art a great deal tougher than portraits. But why are portraits so special?

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© Seona Sommer

1 First there is my fascination for humans in general. I like to sit on the train, for instance, and observe the person sitting across. Sometimes this is a bit difficult, for nobody likes being stared at by a stranger, of course. But I can do it in a pretty much discrete matter. Certainly, I don’t want to behave inappropriately but wish to express a still respect of each and every single person within their singularity: is s/he old or young, tall or small, stressed our or relaxed, sad or happy, … And that’s only the beginning: then I start making up stories about this person’s life, about what makes them lovable, about the difficulties they face, whether they have children, parents, a partner, whether they travel, which hobbies they have got, whether they are rich or poor, religious, born into the right or wrong physical body, whether they have gotten up on the wrong side of the bed today, whether they are living in their home country or have moved here, whether they are down to earth, liberal, fearful, how much they have been wounded by life, how they earn their living – own business, welfare, lottery win -, which music they listen to, whether they have pets, whether they are happy with themselves and with the world around them etc. etc. etc. – in a nutshell, how does it feel to be this one person among millions of others? Of course this all is  complete speculation! It just provides me with unlimited possibilities to assume imaginary roles.

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© Seona Sommer

2 Every human being is unique and precious. In other words, every human is a total wonder of nature, of our cosmos. I desire to put a single human into the limelight, put them on stage. When doing so, I prefer “regular” people, meaning that they are no celebreties and not even close to becoming them. If they happen to be some kind of public figure, then this does definitely not play an important role for me. Furthermore, I am not explicitly looking for people brightly smiling at me from the canvas. I am into authenticity, which includes diverse emotions and people with biographies that could just as well be yours or mine. I am into people who could be everyone’s neighbor. This is in no way restricted to my imaginatory neighbor in Köln-Brück (Germany), but also yours at the other end of town, or yours in Madrid, Quito, Singapore, San Francisco, Acapulco… Anywhere where people live.

3 There is also our common ground. When I look at a single individual I ALWAYS find and feel a lot of things in common. Not only do I learn to know the person on my canvas in my special way, but I usually feel very close to her or him while painting. I open up to the encounter and feel a certain togetherness. For this moment, we become friends – no matter whether I know the person in real life or not.

4 Then there is my interest in biological life. Of course, the person in the reference photo doesn’t move any more, but before taking the picture every single muscle in their body was involved to come out exactly like in this freeze image. In additon, light illuminates every single pore leaving different shadows and shades of skin colors. Catching the multiple structes of skin, eye balls, hair, and even clothing or jewelry are immensely challenging for me.

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© Seona Sommer

5 The greatest challenge, however, is identifying the unique features and spirit of an individual and presenting it in the best possible light – and so highlightening their amiability and dignity. No matter which features and special characteristics they have and show in a certain situation, I aim to evoke a friendly, understanding and benevolent encounter between viewer and model. This is the most important to me. I would never intent to paint or draw someone in a way it provokes dislike or even aversion. Due to the complex nature of my goal, though, I sometimes stretch the limits of what is possible. Yes, it has happened that someone didn’t like a portrait because it appeared too dark or too sad. It has also happened that model didn’t like her own portraits as they found themselves presented quite unfavorably. This shows the most sensitive side of the genre portrait painting. For me, however, this is just another reason for my motivation to do it better the next time!

6 Last but not least, my enthusiasm for hyperrealism plays an important role for me. I aim at creating more and more hyperrealist artworks. Again, for me this technique serves as a tool to stress someone’s genuine and unaltered features – which in my opinion is no contradiction to amiability and dignity!

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