20 |Wie ich eine Künstlerin wurde (2)

ENGLISH TEXT BELOW: HOW I BECAME AN ARTIST (2)

<< TEIL 1 letzte Woche!

Lange Zeit kam ich nicht mehr wirklich mit KUNST in Berührung. Eine Mitbewohnerin während Studienzeiten studierte Kunst im Nebenfach, aber ich habe keine Ahnung, was sie dort machte oder ich habe es vergessen. Es interessierte mich nicht sonderlich, ich fragte nicht viel danach. Ich lernte stattdessen immer wieder Musiker_innen kennen und beneidete sie um ihre Gabe und vor allem ihre Leidenschaft. Sie hatten etwas Wesentliches, was ihrem Leben einen Sinn gab. Ich selbst entdeckte irgendwann das Schreiben für mich. Ich konnte mich einigermaßen ausdrücken und fand eine Stimme in mir, die nach draußen wollte. Ich verfasste Gedichte, Kurzgeschichten, Märchen. Doch war dies kein kontinuierlicher Prozess. Es kam und ging wieder. Oft fand ich auch einfach keine Worte.

1994 kam in in die Bay Area, Kalifornien, wo ich ein zweimonatiges Praktikum am Mills College in Oakland machte. Wenn ich frei hatte, verbrachte ich viel Zeit in San Francisco. Dieser Aufenthalt war für mich der Beginn einer neuen Zeit. Von Anfang an traf ich auf die unterschiedlichsten Menschen – unglaublich vielfältige Charaktere und Persönlichkeiten und auch Künstler_innen. Viele dieser Leute, so kam es mir vor, waren selbst ein lebendes Kunstwerk, ihr Körper eine Leinwand,  bzw. sie machten ihr Leben zu einem Kunstwerk. Ein wenig befremdlich kam mir einiges vor, da ich einen recht beschaulichen und – allen Jugendsünden zum Trotz! 😉 – doch recht biederen Hintergrund hatte. So traf ich zum Beispiel eine Frau, die von sich sagte, dass sie Künstlerin sei, und sie lud mich zu einer Gruppenausstellung ein, an der sie teilnahm. Das Kunstwerk, dass sie ausstellte, war ein großes, altes Lampengestell, das mitten im Raum einer schäbigen Hinterhofgalerie von der Decke baumelte und an dem wiederum ein paar Dutzend Stofffetzen hingen – jedes einzelne von Hand mit einem Gedanken einer Person nach dem morgendlichen Aufstehen beschrieben, die für eine Nacht Teil eines Kunstprojektes geworden war: Die Künstlerin hatte einen ganzen Monat oder länger (so genau weiß ich das nicht mehr) jede einzelne Nacht im Bett neben jemand anders gelegen. Das Lampengestell war Dokumentation und Ergebnis dieses Projektes – es war KUNST in ihren Augen. Ich war da noch etwas skeptisch, sagte aber nichts. Jedenfalls, so merkte ich schnell, war KUNST ein wesentlicher Aspekt von San Francisco, dieser unglaublich kreativen Stadt.

17-01-03-02
Gerhard Richter “Die Lesende” (1960)

So setzte ich schließlich auch den Besuch des MOMA auf meine To-Do-Liste. Ich betrat eine Welt, die sich bisher für mich nicht so erschlossen hatte. Und dann begegnete ich zum zweiten Mal in meinem Leben einem Gemälde, dieses Mal im Original, das mich magisch anzog: “Die Lesende” von Gerhard Richter. Ich sah es erst aus der Ferne und hielt es – natürlich! – für eine verdammt gute Fotografie. Je näher ich kam, desto ungläubiger staunte ich darüber, dass es gemalt war. Und noch viel mehr staunte ich darüber, dass es von einem Deutschen gemalt war. Am meisten aber staunte ich darüber, als ich bei meinen anschließenden Recherchen herausfand, wen ich da “entdeckt” hatte, und ich wunderte mich sehr darüber, dass ich niemals zuvor mit Gerhard Richter in Berührung gekommen war! Ich musste an meine Schulbücher zurückdenken und daran, wie “verstaubt” Kunst mir damals präsentiert worden war. Ich bekam langsam eine Ahnung von dem, was mir bisher entgangen war.

In den folgenden Jahren hatte ich jedoch wenig Zeit & Muße, mich intensiver mit Kunst zu beschäftigen: Ich schloss mein Studium ab, zog dann 1996 für drei Jahre nach Mills College, um dort als Deutsch-Lektorin zu arbeiten, und anschließend zu dem gleichen Zweck noch ein Jahr nach Puebla, Mexiko. Ich war hauptsächlich damit beschäftigt, nach Feierabend und am Wochenende jeweils Land und Leute kennen zu lernen, und hoffte dabei immer, dass Künstler_innen darunter waren, die ich inzwischen wahnsinnig spannend fand. In San Francisco lernte ich vor allem die unabhängige Kunstszene kennen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Genres waren mehr als fließend. Wer in “The City” lebte, war oft deswegen gekommen, um Grenzen jeglicher Art zu überwinden und ein Leben zu führen, das woanders nur selten möglich war. Das Leben an sich war eine einzige große Leinwand. Jede_r probierte sich irgendwie aus auf der Suche nach Selbstverwirklichung. Ich war besonders beeindruckt von der Authentizität und Ungezwungenheit, mit der die Künstler_innen sich hier präsentierten. Ich selbst hingegen war häufig überwältigt, verlor den Fokus und wusste nicht, was ich suchte und wollte. Ich war überfordert angesichts der Selbstverständlichkeit der Wirklichkeit und der Autonomie und Grenzenlosigkeit der Kunst. Ich war letztendlich nur Zuschauerin in einem – ohne Zweifel – grandiosen Theater.

Beispielhaft stelle ich hier als einen der vielen tollen Menschen, denen ich begenet bin, mal kurz Red Jordan Arobataeu vor, den ich in San Francisco in einer Kirche kennen lernte und mit dem ich noch immer in Kontakt bin: Transmann, Jahrgang 1943, Autor (über 80 Bücher), Maler, multiethnisch & sehr arm – so stellt er sich selbst auf seiner Webseite vor.

Mexiko war anders. Das Leben, insbesondere der Alltag einer Single-Frau, die ich damals war, war nicht frei und ungezwungen. Ich fokussierte mich daher auf meine Arbeit und das Besichtigen von Pyramiden. Hinsichtlich Kunst beschäftigte ich mich intensiv mit Frida Kahlo und Diego Rivera. 2000 zog ich schließlich nach Köln und musste mir auch dort erst mal wieder eine Existenz aufbauen, auch privat. Erst 2004 kam ich zur Ruhe. 2004 war für mich aber auch ein Jahr, in dem vieles zu Ende ging, ein Lebensabschnitt, wie man so sagt. Nicht alles habe ich ohne Trauer abgeschlossen, aber es war der richtige Moment, in dem etwas Neues und Großartiges entstehen konnte: Ich kaufte einer inneren Eingebung folgend anfangs erwähnte Pinsel (vgl. > Teil 1), Acrylfarben & Leinwand und begann, wie eine Wahnsinnige zu malen. Ich wurde ENDLICH selbst zur Künstlerin! Dies war dann nach Jahren mein erstes Bild:

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© Seona Sommer, Mexikanisches Mädchen, 2004

>> TEIL 3 nächste Woche!

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HOW I BECAME AN ARTIST (2)

<< PART 1 last week

For a long time, I did not encounter ART anymore. When I was a student, I had a roomate minoring in art, but I had no idea what exactly she did in her studies or I have forgotten all about it. I wasn’t really interested and so I didn’t ask. Instead I continued meeting musicians and was filled with envy at their talents and especially their passion. They seemed to have something crucial that gave them a meaning in their lives. I personally started writing stuff. I was able to express myself well and I detected a voice inside of me that wanted to come out. I wrote poetry, short stories, and fairy tales. But there was no continuity in this process. Sometimes I wrote, sometimes I didn’t. Often I just didn’t had any words.

In 1994 I came to the Bay Area, California, where I was invited for a two months internship at Mills College in Oakland. In my free time, I spent a lot of time in San Francisco. These two months were the beginning of a new time. From the start I met a great diversity of people – an incredible variety of characters and personalities from all walks of life. Many of them were artworks themselves, so it seemd to me, using their bodies as canvases or they turned their entire lifes into artworks. Some things I found strange at the beginning as – despite of my youthful misdeeds 😉 –  I came from a plain and conservative background. I met this woman, for instance, who told me she was an artist and invited me to a show she was participating in. The artwork she was exhibiting was an old lampshade dangling from the ceiling of a shabby backyard gallery room. The lampshade was laden with dozens of small pieces of fabric, each of which was covered with one person’s handwritten personal thoughts after getting up in the morning. All these people had been part of an art project: the artist had spent 30 nights (or more, I don’t recall the exact details) in a row with a different person in the same bed. The lampshade was documentation and result of her project – according to her it was ART. I felt sceptical about it, but didn’t say a word. But I soon noticed that ART was an essential part of San Francisco, this incredibly creative city.

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Gerhard Richter “Die Lesende” (1960)

So eventually I put a visit of the MOMA on my todo list. And I entered a world that hadn’t been revealed to me until then. There, for the second time in my life, I felt mesmerized by a painting I saw, this time an original: “Die Lesende” by Gerhard Richter. I first saw it from a distance and – of course! – I thought it was a darn good photograph. The closer I stepped, however, the more puzzled I became as I was realizing it was a painting. Even more puzzled I became whe I realized the painter was German. And completely baffled I felt afterwards when I was researching him and realized who I had “discovered”. Why had I never heard about him? I was thinking back to my years at school and remembered how “dusty” art had been presented to me then. Slowly I began to understand what I had been missing so far.

During the following years, however, I rarely found time and leisure to pay attention to art more thoroughly. I graduated from university with an M.A., then moved to Mills College  to work as a lecturer of German from 1996-1999, then after that spent another year in Puebla, Mexico, to do the same. I focused on getting to know the country and meeting people, always hoping to meet artists among them, who I started to like a lot. In San Francisco, I mainly became involved in the independent and grassroot art scene. Borders between different genres very often crossed or completely abolished. Those living in “The City” had often come in order to go beyond any kind of border and to live a life that was impossible to live elsewhere. Life itself was a huge blanc canvas. Everyone was trying to find complete fulfilment and realize their own potential. I was especially impressed by the authenticity and informality artists presented themselves with. Inside of me, though,  I often felt overwhelmed and unfocused, and I didn’t know what I was looking for and what I really wanted. I was shaken by the naturalness of reality and the autonomy and immensity of art. After all, I was only an audience member in a – without a doubt – magnificent theater.

Please refer to  Red Jordan Arobataeu as just one of the many great people I met then at a church in San Francisco and who I am still in touch with: transman, born in 1943, writer of more than 80 books, painter, multiracial & very poor – as he introduces himself on his website.

Mexiko was different. Daily life, especially as a single woman like me at the time, was neither liberal nor informal. So I focused on my job and on visiting pyramids. With regard to art, I learnt a lot about Frida Kahlo and Diego Rivera. In 2000, I eventually moved to Cologne, Germany, where I still live today. Again I was busy building up a new life for myself at first. Only from 2004 I got some inner peace. 2004 was also a year in which many things, somehow an entire chapter in my life, ended. I couldn’t let go of everything without sorrow and grief. But it was the right moment when something new and great came into being: I bought myself above mentioned (> part 1) brushes, acrylics, and canvas and began to paint like crazy. I was FINALLY becoming an artist myself! This was the first painting after years:

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© Seona Sommer – Mexican Girl, 2014

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