Verdienst du schon oder stellst du noch aus?
Stelle dir folgende Situation vor: Du bist zu einer Vernissage eingeladen. Auf der Einladungskarte erfährst du, dass es an dem Abend auch einen Live-Musikbeitrag geben wird. Der Eintritt ist frei, aber für die Musiker*innen wird am Ende ein Hut herumgehen. Vor Ort werden zunächst die Reden gehalten und die Künstlerin oder der Künstler stellt sich vor. Im Anschluss beginnt die Live-Musik. Vielleicht sind es nur zwei oder drei Stücke, vielleicht dauert es auch länger. Vielleicht spielen die Musiker*innen den ganzen Abend hindurch immer wieder mal eine Sequenz. Es wird vielleicht ein richtig schöner Abend, weil die Musik mitreißt und eine schöne Stimmung aufkommt. Einige klatschen und singen mit oder tanzen sogar. Als schließlich der Hut herumgeht, bist du großzügig und wirfst gleich einen Schein hinein. Die anderen Besucher*innen scheinen das ähnlich zu sehen. Die Musiker*innen packen ihre Instrumente ein. Sie bieten vielleicht noch ein paar CDs zum Verkauf an und sie verteilen ihre Visitenkarten, um für weitere Vernissagen engagiert zu werden. Am Ende des Abends hat es sich für die Musiker*innen auf jeden Fall gelohnt.
Was stimmt hier nicht? Richtig! Du bist zu einer Vernissage gefahren und auf einem Konzert gelandet. Es ist natürlich überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass Künstler*innen verschiedener Sparten kooperieren und Veranstaltungen gemeinschaftlich gestalten. Nur: Warum haben die Musiker*innen am Ende des Abends ganz sicher etwas verdient, die bildenden Künstler*innen aber nicht? Es kann auch sein, dass die Künstler*innen die Musiker*innen eigenständig engagiert und sie schon vorab aus eigener Tasche für den Auftritt bezahlt haben.
Das Prinzip Hoffnung
Gute Musik hat ihren Preis! Das steht außer Frage. Merkwürdig ist nur, dass viele bildende Künstler*innen bereitwillig Ausstellungen aufbauen, abbauen, Einladungskarten drucken lassen, Getränke besorgen, Reden schreiben, ohne auch nur einen Cent sicher verdient zu haben. Im Gegenteil bezahlen sie oft bereits, um sich überhaupt nur um eine Ausstellung zu bewerben. Das Prinzip Hoffnung, dass man „dieses Mal“ vielleicht doch das neue große Bild für viel Geld verkaufen kann oder eine neue Kundin*ein neuer Kunde mit viel Geld auftauchen wird, scheint sehr beflügelnd zu sein. Je größer der Service auf Seiten der Veranstalterin*des Veranstalters ist (zum Beispiel die professionelle Ausstattung des Ausstellungsortes auf Messen), desto mehr kostet es.
Der Markt wächst
Der Kunstmarkt hat in den letzten Jahren ein enormes Wachstum verzeichnen können. Immer mehr bildende Künstler*innen stellen an immer mehr Orten aus oder werden in immer mehr Magazinen oder Internetbeiträgen veröffentlicht. Konventionelle Ausstellungsorte wie traditionelle Galerien, Kunstmessen und Museen werden längst von einer Vielzahl neuer und neuster Modelle überholt. Konkurrenz beflügelt und erneuert den Markt – einerseits. Andererseits wird der Markt immer unübersichtlicher, vor allem für Künstler*innen, die sich einem schier unermesslichen Angebot an Ausstellungsmöglichkeiten gegenübersehen. Nie war es so leicht, die eigene Vita zu füllen, wie heute.
Welche Angebote sind seriös?
Diese Frage lässt sich nicht in einem Satz beantworten, jeder Einzelfall ist genau zu prüfen. Die im Folgenden genannten Praktiken sind jedoch zumindest fragwürdig. Ob es sich um Galerien, Messen, Internetauftritte oder Ausschreibungen für einen Kunstpreis handelt: Etliche Organisationen arbeiten gewinnorientiert und nutzen die Bewerbungsentgelte der Künstler*innen, um sich selbst zu erhalten, zu organisieren und zu entlohnen. In vielen Fällen bedeutet ein Bewerbungsentgelt noch nicht einmal die Garantie einer Teilnahme oder Repräsentation. Vielfach werden Staffelungen angeboten, nach denen die Einreichung eines Bildes so und so viel kostet und die Einreichung von drei, fünf oder mehr Bildern so und so viel mehr. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass die Chance auf eine Auswahl proportional mit dem eingesetzten Budget der Künstlerin*des Künstlers wächst und nicht etwa durch die Qualität des einzelnen Kunstwerkes.
Oftmals ist auch überhaupt nicht klar, wer eigentlich hinter einer Jury steckt, welche Verbreitung ein bestimmtes Magazin hat, welche Reputation eine bestimmte Organisation hat, oder sogar, welcher messbare Gewinn am Ende einer Teilnahme überhaupt stehen kann. Bei der Masse an Angeboten und der Unübersichtlichkeit des Marktes lassen sich viele Künstler*innen von tollen Locations wie London, New York oder Basel blenden oder von perfekt inszenierten Webseiten und Marketingversprechen beeindrucken.
Was du tun kannst
Bevor du dein Geld weiterhin ohne Konzept unter den Leuten verteilst, solltest du ein Angebot immer genau prüfen. Wenn du dich bei einer dir bis dato unbekannten Ausstellungs- oder andere Chance auf Repräsentation bewerben möchtest, versuche zunächst, so viele Informationen wie möglich darüber zusammenzutragen: Frage bei dir bekannten Künstler*innen nach ihren Erfahrungen. Schreibe ehemalige (ruhig auch unbekannte!) Teilnehmer*innen an und schicke ihnen deine Fragen. Aber recherchiere auch selbst, in dem du die Namen der Jury googlest, Presseartikel liest, dir die Vita von ehemaligen Teilnehmer*innen anschaust. Vielleicht fragst du auch einfach direkt bei der Jury nach, wofür genau deine Teilnahmebeiträge verwendet werden und wie groß deine Chancen auf eine Auswahl deiner Werke eigentlich sind.
Es ist höchste Zeit, dass sich was ändert – wir streiken für unsere Zukunft
Keine Frage, es gibt auch Gelegenheiten, die etwas kosten, und die dennoch sehr verlockend sind. Du musst aus all diesen Erkenntnissen ja keine Religion machen. Meine Meinung ist diese: Die finanzielle Wertschätzung von Künstler*innen in der Gesellschaft ist dürftig. Das war schon immer so, das ist jetzt in Corona-Zeiten so und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, wenn wir als Künstler*innen selbst uns mit dem Markt, wie er ist, immer wieder arrangieren und nicht selbstbewusst für uns eintreten. Wenn wir weiterhin Bewerbungsgebühren zahlen, wenn wir umsonst ausstellen und wenn wir unsere Kunst unter Wert verkaufen.
Ich weise in diesem Zusammenhang auf eine Petition von Professional Standards Regulation Network for Artists (https://www.facebook.com/groups/artistsstandardsnetwork/) hin. Hier kannst du unterschreiben, wenn du dich dazu verpflichten möchtest, dich 2020 nicht mehr um eine ‘Gelegenheit’ zu bewerben, wenn du dafür eine Bewerbungsgebühr zahlen musst.
Weblink: https://www.change.org/p/artist-s-pledge-no-to-fee-based-opportunities
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