120 | Ein Raum für das weibliche Prinzip
Ein Gastbeitrag von Simone Schramm
Ich habe schon als Kleinkind beschlossen Künstlerin zu werden. Immer wieder holte ich eins der zahlreichen Bücher mit Abbildungen alter Meister aus dem Regal meiner Eltern, um deren Werke zu betrachten. In unserem Wohnzimmer hing das Bild “Herr und Dame beim Wein” von Jan Vermeer, welches mich ebenfalls inspirierte. Es war, als würde man eine andere Wirklichkeit betreten. Ich ging also in dieses Gemälde hinein und dachte darüber nach, wie man wohl dieses Phänomen mit Hilfe von Stift und Pinsel hervorrufen kann.
Voller Begeisterung fing ich mit meinem Selbststudium an. Schnell kristallisierte sich die Intention meines kreativen Schaffens heraus, ohne dass ich bewusst lange danach suchen musste. Damals wie heute steht das Hauptmotiv bereits fest, noch bevor ich den ersten Pinselstrich gesetzt habe. Das Thema Weiblichkeit, FrauSein zieht sich wie ein roter Faden durch meinen künstlerischen Lebenslauf.
Mit dem Kind stimmt was nicht
Auch der Außenwelt blieb dies nicht verborgen. Ich kann mich noch sehr deutlich an eine Szene im Kindergarten erinnern, wo die anderen Kinder in der Gruppe sich über mich mit den Worten: “Die Simone malt immer nur Mädchen. Warum macht sie das?” beschwert haben. Ich sehe, wie ich am Basteltisch sitze und mich alle, inklusive unsere Erzieherin, anstarren, als käme ich von einem anderen Stern.
Damals dachte ich mir, dass mit meinem Malverhalten wohl etwas nicht stimmt, und arbeitete unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also in meinen Kinderzimmer, weiter an meinen Frauenstudien. Heute weiß ich, es ist alles in Ordnung mit mir. Ich habe nur Mittel und Wege gesucht, um meinem inneren Wesenskern Ausdruck zu verleihen, ohne sofort auf Gegenwind in Form von Bewertung, Unverständnis und Missbilligung zu stoßen. Papier ist bekanntlich geduldig und gibt mir die Möglichkeit, meine Eindrücke ungefiltert festzuhalten.
Mein kreativer Prozess
Wenn ich mit einem Bild beginne, habe ich oft entweder nur eine vage oder gar keine Vorstellung davon, was denn sonst noch an Motiven im Hintergrund zu sehen sein soll oder welche Farbkombinationen ich anwenden möchte. Als erstes richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Darstellung des Gesichts. Es ist für mich der wichtigste und spannenste Teil beim kreativen Arbeiten, eine Persönlichkeit auf das Papier zu bringen, die in meinen Augen die Fähigkeit besitzt sich mitzuteilen. Sobald ich das Gefühl habe, es ist am Gelingen, arbeite ich mich zum Rest des Bildes vor.
Fort-schreiten = weg-laufen?
In der Theorie setze ich mich viel mit gesellschaftskritischen Themen auseinander. Meiner Meinung nach sind wir alle in einem System gefangen, welches auf ständigem Wachstum, Macht, Konsum, Erfolg und Durchsetzungsvermögen basiert. Ich frage mich, was genau dieser viel bejubelte Fortschritt eigentlich mit uns Menschen macht? Für mich sieht es so aus, als würden wir uns in erster Linie kontinuierlich von unserer wahren Natur entfernen.
Naturzyklen
In der Natur gibt es keine stetig wachsende Aufwärtsentwicklung. Wer mal innehält und genau hinsieht, erkennt, dass hier alles in Zyklen abläuft: die Mondphasen, die Jahreszeiten, das Leben selber (Geburt – Leben – Tod) oder der Monatszyklus der Frau, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Alles was wird und dann ist, muss auch wieder gehen, damit Platz für Neues geschaffen wird. Ganz simpel eigentlich. Ist es nicht so, dass wir durch den derzeitigen Wachstumswahn drauf und dran sind, unsere Lebensgrundlage zu zerstören, weil wir den Rhythmus der Natur missachten oder meinenm ihn umgehen zu können?
Zurück zur Mutter Erde
Ich glaube, diese Entwicklung hat viel mit der Unterdrückung der weiblichen Natur zu tun. Wir müssen Mutter Erde ihren Platz wiedergeben. Sie spendet Leben, behütet es und lässt es auch wieder gehen, wenn es an der Zeit ist. Daher gehört das matriarchale Prinzip wieder ins Zentrum unseres Handelns gerückt. Matriarchat wird oft falsch als Frauenherrschaft übersetzt. Das Wort “Arche” einzeln übersetzt bedeutet in Wirklichkeit Anfang, Prinzip oder Ursprung. Alles Leben wird aus einer Mutter geboren. Daher ist hier der Anfangspunkt unseres Seins und sollte dementsprechend Achtung erhalten.
In der Praxis bringe ich nicht meine Meinung über die Missstände dieser Welt, sondern den mir gewünschten Zustand zum Ausdruck. Diese Herangehensweise empfinde ich als konstruktiver. Zum einen aus persönlichen Gründen, denn das kreative Tätigsein ist für mich eine Strategie, um der täglichen Reizüberflutung entgegenzusteuern. Ich kann währenddessen meine Gedanken ordnen und mich auf eine Sache fokussieren. Aber auch für den Betrachter, der sich durch die Kunst in eine andere Wirklichkeit entführen lassen kann, fern einer lauten und hektischen Realität, ergibt sich ein Gewinn.
Meine Frauen
Meine Frauen scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Sie nehmen alles um sie herum mit einer gewissen Gelassenheit an. So kann es auch mal sein, dass Blut fließt, eine Fau durchlöchert abgebildet ist oder es den Anschein macht, als würde sie demnächst auseinanderfallen. Denn ich meine mit dem Ausdrücken eines Wunschzustandes unserer Welt nicht, dass ich nur Friede-Freude-Eierkuchen-Kunst mache. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, über unseren Schatten zu springen und das, was IST, anzunehmen, um neue Zukunftsperspektiven zu schaffen. Kunst ist mein gewähltes Werkzeug, um zu wachsen.
KONTAKT:
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